Hebammenbericht von Brigitta Hinterecker-Bogdanowicz, MSc Juli 2014
Die Faszination an Ursprünglichkeit und Abgeschiedenheit, an exoti-schen Begegnungen sowie das Inte-resse an einer fremdartigen Kultur,waren für mich Grund, Simikot für 5 Wochen einen Hebammenbesuch abzustatten. Wasvorerst mehr kühnes Wagnis, Herausforderung und persönliche Chance, die mir Nepal Trust Austria bot, bedeutete, verwandelte sich im Nachhinein zueinem der wunderbarsten und nachhaltigsten Erfahrungen meines bisherigen Lebens.
In eine Gegend wie Humla eintau-chen, für einige Wochen seine ver-haltene Schönheit, den Stolz der Menschen, trotz ihrer allgegenwär-tigen Armut und diese Einzigartig-keit dieses Volkes, kennen lernen zu dürfen, bedeutet Erfahrungsge-winn, Horizonterweiterung, Per-spektivenwechsel, Lernen und Rei-fen als unbezahlbares und sehr persönliches Geschenk.
Durch engen, freundschaftlichen Kontakt mit Tsepal Lama, dem Leiter der lokalen Organisation Nepal Austria Partnership Organisationund seiner Frau Khunti, war es mir möglich, ähnlich einem Familien-mitglied im Guest House der NTA besonders gut aufgehoben, in die Dorfgemeinschaft integriert zu sein, an Ereignissen teilzuhaben, unterschiedlichste Begegnungen zu erleben, reichhaltigen Einblicke in Le-benswelten von Menschen gewinnen zu können und Freundschaften fürs Leben zu schließen.
Mein Fokus galt den Frauen von Humla, meinen Arbeitskolleginnen, den Hebammen, ihrer Arbeit und ihrem Arbeitsumfeld, dem SimikotHospital.
Mein täglicher Weg zum Kranken-haus, von Tsepal fürsorglich beglei-tet, führte zuerst durch das Dorfund dann entlang des Abhanges über einen langen Weg zwischen Feldern und unzähligen Marihuana Stauden zu den Häusern der Maternity und Health Care.
Die Frauen sind in bunte Tücher gehüllt, Nasenringe und Halsketten schmücken ihre gegerbte Haut, ihre Kleidung verrät ihr karges Landleben und ihre Armut, die sie umgibt.
Manche sind mir gegenüber anfänglich skeptisch, einige haben viele Tage Fußmarsch hinter sich, um zur Maternity in Simikot zu gelan-gen. Sie sind trotz der Strapazen und medizinischen Bedürftigkeit meist fröhlich und warten bereits vor der Türe geduldig auf die Hebammen.
Die Maternity, von Nepal Trust Austria größten Teils finanziell unterstützt und aufgebaut, ist ein wichtiger medizinischer und sozialer Treffpunkt für Frauen. Es herrscht ein lebhaftes, farbenfrohes Treiben in diesem kleinen Steingebäude mitvier Räumen. Frauen erhalten hier kostenlos Progesteron Depots, Im-plantate, die Pille oder Kondomezur Empfängnisverhütung. SS Tests werden gemacht, vaginale Untersuchungen, Schwangerschaftsvorsorge und Kontrolle. Dazwischen wird Wasser im Eimer gereicht, ob krank oder gesund oder ein Mittelding.
Die Hebammen von Simikot arbeiten sehr selbständig, ohne ärztliche Aufsicht, es gibt kaum etwas, was außerhalb ihres Kompetenzbereiches liegt. Sie sind durch Unterstützung von Nepal Trust Austria der letzten Jahre spezifisch ausgebildet und versiert in Ultraschalluntersuchungen, nicht nur zur Biometrie und Erkennung von Regelwidrigkeiten während der Schwangerschaft, Früh- oder Mangelgeburten, auch Organultraschall wird von zwei routinierten Hebammen im Bedarfsfall durchgeführt.
Neben dem einen temporär anwesenden Nepalesischen Arzt, der mit zwei Health Workers täglich bis zu hundert Menschen im Hauptgebäude des Hospitals medizinisch versorgt, stellen die Hebammen die Grundstütze der Gesundheitsversorgung für die Humla Bevölkerung im Simikot Hospital dar. Es obliegt ihnen nicht nur die Geburtshilfe, Schwangerschaftsüberwachung, Ausgabe von Medikamenten sowie Supplementen oder Therapien verschiedenster Krankheiten. Auch die Durchführung von regelmäßigen Impftagen für Mütter und Kindersowie die Dokumentation und Erfassung medizinischer und statistischer Daten liegt in ihrem Tätigkeitsbereich.
Das Schulen von sogenannten Female Health Care Volonteers, die ihr Wissen in die entlegensten Bergdörfer weitertragen, ist ebenfalls Aufgabe der Hebammen und wurde in den letzten Jahren durch Initiative der NTA zur Förderung von Gesundheit und Aufklärung der Bevölkerung über Krankheitsrisiken mit großem Response etabliert.
Ich durfte zwei Tage an diesem Unterricht teilhaben, während engagierte Hebammen 18 junge Frauen, teilweise mit ihren Kleinkindern aus entlegenen Dörfern über mehrere Tage angereist, 3 Wochen lang unterrichteten. Gesellschaftspolitische Fragen wie die Stellung sowie Verantwortung der Frauen und Mädchen, Gewalt in der Familie, Familienplanung, Sexualität, die Zusammenhänge zwischen schlechter Hygiene, Fehlernährung und Krankheit sowie rasche Behandlungsmöglichkeiten waren Themen dieser für mich unvergesslichen Unterrichtstage, an denen ich nicht nur staunte und lernte, sondern auch mit meinem Wissen viel Neues beitragen konnte.
Die Menschen, speziell die Frauen und Kinder sind oft Leidtragende der rauen, armen, unhygienischen aber auch patriarchalisch strukturierten Lebensbedingungen. Eine hohe Kindersterblichkeitsrate, Mangelernährung meist bei Mädchen und chronische Leiden sind Folge davon. Jedes zweite Kind unter 5 Jahren ist mangelernährt oder krank.
Auf Grund der vielen Schwangerschaften, jedoch vor allem der anstrengenden körperlichen Arbeit und schweren Lasten, die Frauen tagtäglich auf ihrem Rücken zu tragen haben, tritt die Pathologie des Uterusprolapses bereits bei jungen Mädchen häufig auf. Pessar Ringe und Anleitungen zum frühen Beckenbodentraining von den Hebammen schaffen Abhilfe. Manche Frauen, die nach tagelangem Fußmarsch die Maternity erreichen, sind oft sehr krank, entkräftet, brauchen rasche Hilfe, die von den Hebammen effizient geleistet wird.
Die gesamte Einrichtung der Maternity bietet Dank Generalsanierung der NTA für hiesige Verhältnisse eine solide medizinische Basis. Nach einigen Tagen Mitarbeit sowie gegenseitigem Vertrauens- und interkulturellem Expertiseaustausch war es mir möglich, mit den Hebammen gemeinsam Reparaturarbeiten, strukturelle Veränderungen sowie einen Hygieneplan für die Maternity nach westlichem Standard zu entwerfen, der mit Hilfe von Tsepal ausgearbeitet, zum Teil übersetzt und in die Teamarbeit erfolgreich integriert wurde.
Ab diesem Zeitpunkt waren die hygienischen Anforderungen an die Maternity so weit wie möglich erfüllt, die Instrumente sauber sortiert, der Autoklav in regelmäßiger Verwendung und der Spitalsboden sowie die Sanitäranlage gereinigt.
Leider sind der Boden sowie die Wände des stark frequentierten, stationären Patientenzimmers im Haupthaus trotz vergangener Renovierung auf Grund der harten Winter zum Teil aufgefroren, weisen tiefe Schäden auf und sind erneut in einem desolaten Zustand, der schnellst möglich behoben werden sollte.
Im Building der Maternity dienen ein Untersuchungsraum und ein Ultraschallraum zum Zweck der täglichen Konsultationen der Frauen. Der Geburtsraum ist mit einem einfachen Gebärbett, Heizkörpern, allen notwendigen Instrumenten, sogar einer mobilen Sauerstoffeinheit und einem Reanimationstisch eingerichtet.
Neben den 150 Geburten pro Jahr finden sogar Entbindungen von Geminis, Beckenendlagen und Vakuum Extraktionen in diesem Raum unter der Führung der Hebammen statt.
Bald werden die Hebammen mit großer Freude in das neu errichtete, geräumige und viel größere Geburtenhaus übersiedeln, das kurz vor der Eröffnung steht.
Es wurde unter der Federführung des ärztlichen Leiters der NTA, Prof. Dr. Bichler, mit Unterstützung des Landes Oberösterreich sowie des Rotary Clubs Bad Ischl im Rahmen der Nepal Trust Austria errichtet und weist für Nepalesische Verhältnisse einen besonders hohen medizinischen Standard auf. In den neu errichteten Räumen werden in Zukunft ausschließlich Geburten statt finden, während die ursprüngliche Maternityihren Zweck als gynäkologische Ambulanz erfüllen wird.Eine Geburt im Himalaya begleiten zu dürfen gehört wohl zu den tiefsten und beeindruckendsten Erlebnissen als Solidaritätsakt unter Frauen.
Ich lernte, wie weit Gelassenheit und Durchhaltevermögen reichen, welche kraftvollen Gesichter Bescheidenheit und Gehorsam haben können. Abgrenzung muss hier niemand lernen, Mitleid ist ein Luxusgut, Intimsphäre gibt es nicht, unsere Art der Befangenheit kennt hier niemand. Nepalesische Frauen gebären leise, demütig und in Würde. Sie führen ein hartes Leben am Rande der Zivilisation und gemäß diesem gebären sie auch. Ihr Leben ist trotz Entbehrungen unendlich reich an Lebensmut und Freude.
Zum Höhepunkt meines Besuches in Humla zählte eine 3 tätige spirituelle Bergwanderung, gemeinsam mit 1000 Gläubigen zum buddhistischen Kloster Raling Gompa, auf über 4000 m Höhe. Auf dem Weg dorthin besuchten Tsepal und ich einige Schulen sowie entfernte Health Posts, die von Nepal Trust Austria etabliert wurden und den Menschen in den entlegensten Regionen von Humla die Möglichkeit auf medizinische Versorgung bieten.
Ich habe sicher meine Wahrnehmung im Laufe meines Aufenthalts verändert, die Lebens- und Handlungsweise dieser exotischen Menschen von einem anderen Ausgangspunkt gelernt zu betrachten und möchte diese wunderbaren Begegnungen nicht mehr missen.
Den bestenfalls zweckdienlichen Lumpen, die diese Menschen aber dennoch schmücken, weil sie meist sehr farbenfroh sind, den Rotznasen der Kinder von Humla, den Zahnlücken, den Behinderungen und dieser allgegenwärtigen, unendlichen Armut steht etwas gegenüber, das es bei uns eindeutig nicht gibt. Und das zu erkennen ist heilsam.
Durch diese unmittelbare Nähe von Bescheidenheit und Reichtum an Lebensfreude erwachen verborgene Wertigkeiten, die unser westliches Leben, unsere Wahrheiten völlig in Frage stellen. Dies jedoch zu entziffern ist manchmal schwierig und vor Ort scheinbar leichter.
Die österreichische Hilfe von Nepal Trust Austria, die hier ankommt, trägt deutlich sichtbare Früchte und scheint essentiell und nachhaltig zu sein.
Das gesamte Spitalsprojekt in Simikot wäre ohne persönlichen und engagierten Einsatz von Prof. Wobrowsky vor Ort nicht realisierbar gewesen. Mit Unterstützung der NTA und Einbeziehung der örtlichen Autoritäten wurde letztlich das Ziel einer medizinischen Versorgung der Bevölkerung Humlas erreicht.
Einen Dank an alle, die meine Sichtweise teilen, die mit ihrem selbstlosen Einsatz und finanziellen Engagement den Menschen in Humla mehr Aussicht auf Gesundheit und damit Zukunft schenken.
Auch bedanke ich mich bei all denjenigen, die mir diesen Erfahrungsschatz ermöglichten, mich zu dieser Reise ermutigten und unterstützten, die mir Einblick in ihre Lebenswelten gewährten und damit mein Leben bereicherten.
Sommer, 2014
Brigitta Hinterecker-Bogdanowicz